Der Anstieg der Inflationsraten in den wichtigen Volkswirtschaften scheint sich zu verfestigen. Solange die Notenbanken an ihrer Niedrigzinspolitik festhalten und vermehrt Geld in Umlauf bringen, besteht ein Inflationsrisiko, das zunehmend bedrohlich empfunden wird. Kommt jetzt die Zinswende? Wir haben Stefan Amenda, Head of Equity and Multi Asset der MEAG, um seine Einschätzung gebeten.
Herr Amenda, die Inflationsraten steigen weiter. Wäre es Ihrer Ansicht nach nun nicht an der Zeit, dass die Notenbanken die Niedrigzinsphase beenden?
Die großen Notenbanken haben sich dazu unterschiedlich positioniert. Insgesamt hat der Zinsdruck nach unten nachgelassen. Es lässt sich eine Tendenz erkennen, dass die Zinsen steigen werden – aber nur langsam. Solange die konjunkturellen Belastungen durch die Pandemie anhalten, dürften die Notenbanken bei ihrer Linie bleiben, die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.
Somit dürften sich die Verbraucherpreise weiter verteuern oder zumindest auf hohem Niveau bleiben.
Mit welchen möglichen Auswirkungen?
Solch hohe Inflationsraten, wie wir sie aktuell erleben, liegen für uns schon längere Zeit zurück. Zwar waren die höheren Inflationsraten erwartet worden. Sie kamen mit Ansage, wurden aber bislang als vorübergehendes Phänomen behandelt. Eine solche Sichtweise lädt jedoch dazu ein, keine Gegenmaßnahmen in Erwägung zu ziehen. Meiner Ansicht nach dürfen die hohen Raten keineswegs unterschätzt werden.
Erwarten die Marktakteure noch für längere Zeit hohe Inflationsraten?
Es ist schwierig einzuschätzen, wie sich die Inflationserwartungen, also die Einschätzung der künftigen Inflationsentwicklung, darstellen werden. Aber genau diese Inflationserwartungen beeinflussen in der Regel die weiteren Aktionen von Marktteilnehmern. Möglicherweise haben die Marktakteure eine höhere Inflation in ihrer weiteren Preissetzung bereits einkalkuliert, und diese Entwicklung nimmt einen spiralförmigen Verlauf.
Was hätte eine solche Entwicklung zur Folge?
Erwarten alle Akteure stark steigende Preise, werden viele ihre geplanten Käufe vorziehen – denn je länger sie warten, desto höher die Preise. Mit der erhöhten Nachfrage ziehen in der Regel die Preise an. Die Inflationserwartungen beeinflussen letztendlich tatsächlich die Inflation. Die Inflation nährt sich somit selbst.
Angenommen, die Notenbanken beenden ihre expansive Geldpolitik. Was dann?
Es ist fraglich, ob die Notenbanken einen restriktiveren Kurs glaubhaft ankündigen können und auf diese Weise den Marktteilnehmern signalisieren, dass sie eine überbordende Preisentwicklung eindämmen könnten.
Für die Europäische Zentralbank EZB wäre dies ein schwieriges Unterfangen. Die Schuldenberge einiger EU-Staaten sind hoch, und höhere Zinsen würden deren Lage verschlechtern. Auch lässt die Führung der EZB keinerlei Ambition in diese Richtung erkennen. Zudem dürfte eine restriktivere Politik während der andauernden Pandemie kaum mehrheitsfähig sein.
Solch hohe Inflationsraten, wie wir sie aktuell erleben, liegen für uns schon längere Zeit zurück.
Welche Folgen hätte dieses Szenario?
Unter dem Strich könnte dies bedeuten, dass die Inflationserwartungen unkontrolliert nach oben gehen, da es auch keine Haltelinien gibt. Entsprechend wachsam beobachten wir die Entwicklung.
Was würden höhere Inflationsraten für Kapitalanleger bedeuten?
Wir haben uns an stabile Inflationsraten, einhergehend mit stabilen Inflationserwartungen, gewöhnt. Der hohe Wert dieser idealen Konstellation ist uns inzwischen nicht mehr stark genug bewusst. Mit höheren Inflationsraten gehen meist wechselnde Inflationserwartungen einher. Das führt in der Regel zu Unsicherheit, und die Märkte mögen keine Unsicherheit. Von einem solchen ungünstigen Szenario gehen wir aber derzeit nicht aus.
Welche Entwicklung sehen Sie als wahrscheinlicher an?
Aus unserer Sicht ist eher davon auszugehen, dass wir mit den Inflationsraten in einer verträglichen Bandbreite mit relativ stabilen Inflationserwartungen verbleiben. Die Zinsen dürften in diesem Fall aller Voraussicht nach über einen längeren Zeitraum nur langsam ansteigen. Vor diesem Hintergrund könnten Aktien in einem Misch- oder vermögensverwaltenden Fonds auf lange Sicht für den Anleger mit entsprechender Chance-/Risikoneigung eine interessante Geldanlagelösung darstellen