Aiming high and missing is better than aiming low and hitting

Interview mit Nicola Winter

Wie stärken wir unser Selbstbewusstsein dahingehend, dass wir unsere Interessen selbstverantwortlich vertreten und ungleichen Rahmenbedingungen entgegentreten können? Wie gehen wir mit Hindernissen und Rückschlägen um? Antworten auf diese und weitere Fragen gab Nicola Winter, Pilotin, Ingenieurin und Hochschuldozentin für Notfall- und Krisenmanagement in ihrem Vortrag „Empowerment“ im Rahmen der jährlich stattfindenden Veranstaltungsreihe des MEAG Frauennetzwerks Win@M.

Über ein Jahrzehnt lang war Nicola Winter Kampfflugzeugpilotin bei der Bundeswehr, steuerte als eine von nur drei Frauen in der Luftwaffe den Eurofighter, bildete in den USA mehrere Jahre lang junge Piloten aus und bekleidete den Dienstgrad Major. Nach Zwischenstopps in der Unternehmensberatung und Industrie ist sie heute als Projektleiterin für Technologiedemonstrationen am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR e.V.) und Dozentin für Notfall- und Krisenmanagement an der Carl Remigius Hochschule tätig, promoviert in Raumfahrtwissenschaften und macht einen Flugschein zur Berufshubschrauberpilotin. Die Mutter einer kleinen Tochter engagiert sich zudem als Rettungssanitäterin. Am 23. November 2022 kürte sie die Europäische Weltraumbehörde ESA in Paris zur Reserve-Astronautin für ihre Weltraummission.

Nicola, Fliegen und das Weltall sind seit Deiner Kindheit Deine Leidenschaft. Mit welchem Mindset hast Du Dich auf Deinen beruflichen Weg gemacht?

Niemand wird als Pilot geboren. Alles ist eine Frage der Übung. Der erste Schritt ist der schwerste, weil es gilt, die eigenen mentalen Hürden zu überwinden. Ich wollte schon früh Pilotin werden. Als ich erfuhr, dass ich für das Fliegen einer Passagiermaschine zu klein bin, habe ich mich nach einem Plan B umgeschaut und bin bei der Bundeswehr gelandet.

Geholfen hat mir dabei der Ratschlag meines Vaters: „Einfach probieren wie weit man kommt, wenn man richtig Gas gibt“. Meine Erfahrung auf diesem Weg war, dass man sich nicht von der Angst leiten lassen darf, abgewiesen zu werden, denn es ist einfacher, mit Abweisung umzugehen, als mit dem Bedauern, etwas nicht versucht zu haben.

Du hast in sehr männerdominierten Berufsfeldern gearbeitet, allen voran die Bundeswehr. Welche Verhaltensmuster haben Dir als Frau ‚Akzeptanz auf Augenhöhe‘ gebracht?

Ich habe mich darauf konzentriert, wie ich einen wahrgenommenen Nachteil zu meinem Vorteil nutzen kann. Als Frau konnte ich mich von vornherein nicht körperlich mit meinen Kollegen messen, also habe ich mich auf meine intellektuelle Stärke konzentriert – vieles lässt sich sowieso mit Grips besser lösen, als mit Muskelkraft. Natürlich war mir bewusst, dass ich als eine der ersten Jetpilotinnen der Bundeswehr eine Vorreiterrolle einnehme und damit auch den Weg für Nachfolgerinnen ebne. Wichtig ist, sich treu zu bleiben, auch wenn man damit mal aneckt. Anders zu sein als alle anderen birgt auch Chancen, weil es keine oder wenig Vergleichsmöglichkeiten gibt. Ich habe mich darauf konzentriert, mein bestes Ich zu sein, alles andere wäre Energieverschwendung. Im Übrigen diskriminiert Technik nicht, man bedient sie richtig oder falsch, egal welches Geschlecht, Hautfarbe oder Religion man hat.

Wie können wir unser Selbstbewusstsein stärken?

Ich glaube, dass man Resilienz und mentale Stärke sehr gut lernen kann, allerdings nicht, wenn man daheim am Küchentisch grübelt, sondern indem man sich in Situationen begibt, die manchmal auch unbequem sind. Jeder kennt das Gefühl von Chaos, Überwältigung und Überforderung, wenn man etwas zum ersten Mal macht. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass das normal ist und es einen Weg geben wird, auch wenn ich den ganzen Weg noch nicht kenne. Mein Rezept war, mich zu überwinden, loszumarschieren und mich so zu verhalten, wie es erfolgreiche Menschen tun. Das können einfache Verhaltensweisen sein, wie beispielsweise gerade und etwas breitbeiniger stehen, mit lauter Stimme sprechen und dabei richtig atmen – auch wenn es einem anfangs etwas unangenehm ist. Indem man physisch und mental Raum einnimmt, wird man wahrgenommen. Und besser, man wird mal als zu laut wahrgenommen, als überhaupt nicht. Das ist ein Prozess des Ausprobierens und der Selbstregulierung, in dem man austariert, was gut ankommt. Mit der Zeit verselbständigt sich das eigene Verhalten und es wird immer einfacher, sich zu überwinden.

Wie gehen wir mit Hindernissen und Rückschlägen um? Welche Unterstützung ist dabei hilfreich?

Mit der Einstellung ‚Alles im Leben ist Übung und ich muss es nur lange genug üben‘ geht man schon einmal entspannter durchs Leben. Niemand hat magische Tricks oder kann über Wasser laufen. Während man übt, sollte man sich die nötige Unterstützung suchen, zum Beispiel in Form von Weiterbildung, Coaching und Mentoring. Hilfreich ist auch, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, um herauszufinden, ob ich der Geisterfahrer bin oder es den anderen genauso geht wie mir. Sich hinterfragen ist wichtig, denn manchmal ist man ja tatsächlich selbst der Geisterfahrer. Entscheidend ist, mit wem ich spreche, es sollte nicht immer die gleiche Person oder Personengruppe sein und vor allem sollten meine Ratgeber in dem speziellen Feld Experten sein, die Erfolge vorweisen können.

Welche Eigenschaften und Kompetenzen sollte eine Führungskraft mitbringen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich zu empowern?

Empathie ist die wichtigste Eigenschaft einer Führungskraft. Sie sollte sich in ihre Mitarbeiter hineinversetzen und ihre Gefühle verstehen können und verschiedene Situationen, Meinungen oder Lebensumstände bestenfalls nachvollziehen, mindestens aber akzeptieren können. Weitere Eigenschaften sind Offenheit und Bescheidenheit – im Sinne von ‚Wenn ich nicht Führungskraft wäre, wäre es jemand anders an meiner Stelle.‘ Hier sind selbstbewusste Führungskräfte im Vorteil, denn sie fühlen sich bei Kritik nicht gleich angegriffen. Sehr wichtig finde ich auch Entscheidungsstärke, verbunden mit dem Transparentmachen von getroffenen Entscheidungen für die Mitarbeiter, denn diese Nachvollziehbarkeit schafft Sicherheit und Vertrauen und stärkt gleichzeitig die eigene Autorität der Führungskraft. Mündige und interessierte Mitarbeiter wollen wissen, wohin die Reise gehen soll und warum Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden. Zudem sollte eine gute Führungskraft ihren Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringen. Zur Stärkung ihres Selbstbewusstseins und weil Erfolge immer eine Teamleistung sind.

Damit aus sich selbst empowern nicht auspowern wird – wie verhindern wir in Zeiten von Optimierung und Perfektionismus Letzteres?

Wir betreiben heute alle auf unsere Art Multitasking. Das bedeutet, wir können nicht für alle Tätigkeiten 100 Prozent geben. Sinnvoll ist, sich bewusst zu machen, wieviel Zeit und Energie ich in was investiere: Wo muss ich richtig ich gut sein und 100 Prozent geben, wo räumlich präsent sein, was kann ich outsourcen? Wenn ich einen Jet fliege, benötige ich volle Konzentration und Disziplin und muss präsent sein. Einen Kuchen für den Kindergarten muss ich dagegen nicht selbst backen, den kann ich kaufen – und die gewonnene Zeit mit meiner Tochter spielen. Mein Credo lautet dann: ‚Good is good enough!‘

Welche ganz persönliche Erkenntnis gibst Du uns mit auf den Weg?

Einfach machen, loslegen! Wenn man sich über alles Gedanken macht, was passieren könnte, macht man sich über unendlich viele Themen Gedanken, die nie passieren werden. Für mich war die einzige Guideline immer ‚Möchte ich das jetzt, dann mache ich es auch‘, der Rest wird sich auf dem Weg dahin schon finden.

Das Gespräch führte Sabine Palka