„Sieger entstehen im Kopf“

Im Interview mit MEAG Communications erläutert Verena Bentele, wie sich Frauen – und Männer – selbst „empowern“ können und welche Rahmenbedingungen Arbeitgeber für eine vertrauensvolle Feedback- und Unternehmenskultur bieten müssen, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Engagement Ihre Kompetenzen ausleben und Verantwortung übernehmen.

Frau Bentele, Sie zählen mit 12 Goldmedaillen bei den Paralympics und weiteren 4 bei Weltmeisterschaften zu den erfolgreichsten Wintersportlern weltweit. Heute sind Sie Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK. Was war auf Ihrem Weg besonders entscheidend?

Dass ich von Geburt an blind bin, spielt sicher eine große Rolle. Von klein auf bin ich mir darüber bewusst, was ich kann und was nicht, also wofür ich mir Hilfe und Unterstützung holen muss. Ich werde im eigentlichen Wortsinn ständig an meine Grenzen erinnert und mit Hindernissen konfrontiert. So lernte ich früh, meine Fähigkeiten einzuschätzen auf die ich vertrauen kann. Dieses Wissen gibt mir permanente Orientierung, wohin ich gehen kann und wo ich besser Begleitung und Unterstützung brauche, um Hindernisse zu überwinden.

Was hat Sie während Ihrer sportlichen Karriere motiviert?

Langsamer sein als andere und zu verlieren konnte ich nie leiden. Für einen Sieg musste ich mich immer mehr anstrengen. Immens wichtig für meine Motivation sind Menschen, von denen ich etwas lernen kann und Menschen, die mir vertrauen bzw. mir vieles zutrauen. Beim Skifahren als Kind war der Vertrauensvorschuss meiner Eltern entscheidend, Vorbild war mein sehender Bruder, und mein Ziel war, schneller zu sein, als er. Die Vorstellung von der Goldmedaille um meinen Hals hat mich mehr motiviert als mich die Angst vor dem Hindernis am Versuch zu gewinnen einschränken konnte.

Sie haben viele Hindernisse überwunden. Welches war Ihr größtes?

Mit Hindernissen umzugehen war und ist ein lebenslanger Lernprozess für alle Menschen, ich erlebe meine Hindernisse nur oft viel physischer als andere. Mein einschneidendstes Erlebnis war sicher mein Skiunfall 2009 bei den Deutschen Meisterschaften im Langlauf, bei dem ich in ein Flussbett stürzte und mir einige Verletzungen zuzog. Mein Guide hatte mich in die falsche Richtung geführt. Für mich war es eine herausfordernde Übung um Vertrauen zurückzugewinnen und ein gutes Training für meine Resilienz. Welche Bedeutung sollte dieses Erlebnis für mich haben? Wollte ich mich zukünftig von meiner Angst leiten lassen und niemandem mehr vertrauen? Die entscheidende Frage allerdings lautete: „Wie will ich meine Karriere beenden, nach einem Unfall oder mit einer Goldmedaille?“

Bekanntermaßen haben Sie sich für die Goldmedaille entschieden.

Auch wenn ich diese nicht gewonnen hätte, wäre meine Entscheidung, dafür zu kämpfen, meine persönliche Goldmedaille gewesen. Wir lernen durch beides, durch Siegen und Verlieren – entscheidend sind die Erkenntnisse auf dem Weg dorthin und was wir aus dem Gelernten machen. Sieg oder Niederlage liegen manchmal nicht in unserer Hand – die Entscheidung, daraus zu lernen, jedoch schon.

Was raten Sie Frauen, die sich nicht selbst vertrauen, wie sie diese Fähigkeit erlernen?

Heben Sie Ihre Hand wenn es um die Verteilung verantwortungsvoller Jobs geht! Im schlimmsten Fall scheitern Sie, aber das Leben geht weiter. An 350 Tagen im Jahr gewinnt man keine Goldmedaille. Das gilt für alle, auch für Männer! Wir Frauen müssen daher mehr über die kleinen Goldmedaillen sprechen. Für uns ist das ungleich schwerer, denn wir haben diese Fähigkeit häufig nicht gelernt, so dass Männer in diesem Punkt noch immer meistens im Vorteil sind.

Sich nicht trauen hat viel mit der Angst vor dem Versagen zu tun. Machen Sie sich bewusst, dass die meisten Risiken kalkulierbar sind. Im schlimmsten Fall läuft man eine Strafrunde, danach ist man wieder auf Kurs und kann trotzdem noch gewinnen, daher sollte man sich im Zweifel trauen. Sich selbst zu vertrauen kann man üben, zum Beispiel indem man sich in einem ‚geschützten Raum‘ Feedback einholt von Menschen, denen man vertraut und sich mit ihnen wohlfühlt – das kann in der Familie sein, im Freundeskreis, beim Sport oder im beruflichen Umfeld. Durch konstruktives Feedback gewinnt man mehr Sicherheit bei der Einschätzung seiner Fähigkeiten und dem Bedarf an Unterstützung. Im Übrigen hilft es immer, ein Ziel und einen Plan zu haben und diesen gut zu kommunizieren. Und ein ganz wichtiger Punkt: Suchen Sie Unterstützung bei einem Mentor oder Netzwerk-Partner, am besten jemand, der im Unternehmen gut vernetzt ist.

Stichwort Vertrauen und Feedbackkultur – welche Voraussetzungen können Unternehmen dafür schaffen?

Vertrauen ist sehr wichtig, wir brauchen einander, um Ziele zu erreichen, je mehr Diversität im Team ist, desto mehr Fähigkeiten stehen zur Verfügung. Insbesondere größere Ziele wie einen Kulturwandel erreicht man nur mit Teams, deren Mitglieder sich vertrauen.

Eine Feedbackkultur lebt davon, sich gegenseitig kritisches konstruktives Feedback zu geben. Hierzu bedarf es eines besonderen Raums außerhalb der täglichen Routine. Dies geht nicht mal so kurz zwischen Tür und Angel. Beide Seiten müssen sich auf eine Feedbackkultur einigen, Basis dafür ist eine offene Diskussionskultur und die Gelassenheit, auch mal einen Fehler zu machen und diesen auch anderen zu gestatten.

Im Idealfall geben Führungskräfte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Feedback wie ein guter Trainer. Und umgekehrt, denn jede Führungskraft lernt von ihrem Team und benötigt deren Fachwissen für ein gutes Ergebnis.

Verraten Sie uns zum Abschluss noch ein persönliches Fazit?

Etwas mit Leidenschaft anpacken im Kreise von vertrauten Menschen ist wichtiger als gewinnen oder verlieren.

Vielen Dank Frau Bentele für das Gespräch, alles Gute für Sie!

Das Gespräch führte Sabine Palka